Montag, 7. Dezember 2015

Der Junge mit dem pinken Fahrrad

Der Junge mit dem pinken Fahrrad


Genervt versuchte ich die kleinen Fliegen vor meinem Gesicht zu verscheuchen.  Die Sonne knallt auf die Straße und die schwüle Luft trägt die Hitze bis zu den Stufen vorm Officegebäude. Dort sitzen wir jetzt schon wieder seit einer dreiviertel Stunde und warten, dass es endlich losgeht in die Stadt, aber die Inder haben es scheinbar wirklich nicht so mit Pünktlichkeit. Das WLAN geht auch gerade nicht, also versuchen wir uns irgendwie zu beschäftigen. Ich zähle die Mückenstiche an meiner rechten Hand. Sind zwar super viele, bin aber doch recht schnell damit fertig. Also starre ich nach draußen, beobachte das Treiben auf der Hauptstraße vor uns. Bunte, prallgefüllte Busse,  Büffel, Kühe, Ziegen, viele Motorräder, Fußgänger, viele Fahrradfahrer. Plötzlich fällt mir ein Fahrradfahrer besonders auf. Ein kleiner Junge, vielleicht  10,12 Jahre alt. Sein Rucksack ist halb so groß wie er selbst, sein Lächeln auch.  Er sitz auf einem knallpinken Fahrrad mit Blümchen drauf, so eins, wie ich es mir früher immer gewünscht habe.
Würde man sowas wohl in Deutschland sehen, frage ich mich? Einen Jungen, der mit so viel Stolz auf einem Mädchenrad durch die Gegend fährt. Denn pink hin oder her, es ist ein Fahrrad. Und er kann damit herumfahren – das alleine scheint ihn schon glücklich zu machen.
Und unwillkürlich überkommt mich wieder dieses Gefühl, dass die Menschen hier irgendwie zufriedener und glücklicher zu sein scheinen. Während ich das schreibe komme ich mir blöd vor, so zeigefingererhebend und „ich erzähl euch griesgrämigen Deutschen jetzt mal wies richtig geht“-mäßig.
Aber es ist nun mal so; wenn man einkaufen geht, gibt es eben nur die 5 Sorten Obst und Gemüse und wenn überhaupt nur den einen Käse (den gefühlt außer uns sowieso niemand kauft), aber das ist gar nicht schlimm. Trotzdem muss ich mir eingestehen, dass ich eine Weile gebraucht habe mich daran zu gewöhnen. Ich bin einer dieser Menschen, die, Schande über mich, auch im letzten Dezember noch Erdbeeren gekauft haben.
Würde ich mich selbst auf eine Diät setzen und mir Pizza, Schokolade oder was weiß ich was verbieten, ich wette es fiele mir echt schwer mich daran zu halten. Hier ist es überhaupt kein Problem, dass solche Sachen nicht, oder nur kaum erhältlich sind und sie fehlen nicht mal so. Normalerweise heißt es doch immer: Man will das, was man nicht haben kann.
Ich habe das Gefühl, ich will eher  das, was ich nicht haben sollte – wenn ich es nicht haben kann ist das hingegen echt okay. (Abgesehen von Lasagne, die vermiss ich unendlich, davon kann Lisa und jeder der mal mit mir geskypet hat ein Lied singen)
Eigentlich möchte ich mit diesem Post zum nachdenken anregen über das Thema, das mir zurzeit ständig im Kopf rum spukt. Ich kann zufrieden sein mit Einfachem. Warum bin ich damit nicht mehr zufrieden, sobald noch mehr verfügbar ist? Warum fällt es oft so schwer einfach zufrieden und glücklich zu sein damit, dass man überhaupt was hat?
Ich glaube ich habe das hier gelernt, das „Einfach zufrieden sein“.
Verlernt man das aber wieder, sobald man nächsten Winter in Deutschland vor den Erdbeerschälchen im Supermarkt steht?
Aber es geht nicht alleine ums zufrieden sein, es geht auch darum die Sachen zu schätzen. Viele unserer Schüler und Studenten gehören zur armen Landbevölkerung. Trotzdem sehen sie jeden Tag ordentlicher aus als ich; ihre Kleidung ist sauber und ordentlich. Sie passen auf jeden Kugelschreiber und jede Haarklammer auf. Sie schätzen was sie haben, pflegen es und passen darauf auf.
Das muss ich unbedingt noch von ihnen lernen.

(Hannah)
ein indischer Laden