Der Junge mit dem pinken Fahrrad
Genervt versuchte ich die kleinen Fliegen vor meinem Gesicht
zu verscheuchen. Die Sonne knallt auf
die Straße und die schwüle Luft trägt die Hitze bis zu den Stufen vorm
Officegebäude. Dort sitzen wir jetzt schon wieder seit einer dreiviertel Stunde
und warten, dass es endlich losgeht in die Stadt,
aber die Inder haben es scheinbar wirklich nicht so mit Pünktlichkeit. Das WLAN
geht auch gerade nicht, also versuchen wir uns irgendwie zu beschäftigen. Ich
zähle die Mückenstiche an meiner rechten Hand. Sind zwar super viele, bin aber
doch recht schnell damit fertig. Also starre ich nach draußen, beobachte das
Treiben auf der Hauptstraße vor uns. Bunte, prallgefüllte Busse, Büffel, Kühe, Ziegen, viele Motorräder,
Fußgänger, viele Fahrradfahrer. Plötzlich fällt mir ein Fahrradfahrer besonders
auf. Ein kleiner Junge, vielleicht 10,12
Jahre alt. Sein Rucksack ist halb so groß wie er selbst, sein Lächeln auch. Er sitz auf einem knallpinken Fahrrad mit
Blümchen drauf, so eins, wie ich es mir früher immer gewünscht habe.
Würde man sowas wohl in Deutschland sehen, frage ich mich? Einen Jungen, der
mit so viel Stolz auf einem Mädchenrad durch die Gegend fährt. Denn pink hin
oder her, es ist ein Fahrrad. Und er kann damit herumfahren – das alleine
scheint ihn schon glücklich zu machen.
Und unwillkürlich überkommt mich wieder dieses Gefühl, dass die Menschen hier
irgendwie zufriedener und glücklicher zu sein scheinen. Während ich das
schreibe komme ich mir blöd vor, so zeigefingererhebend und „ich erzähl euch griesgrämigen
Deutschen jetzt mal wies richtig geht“-mäßig.
Aber es ist nun mal so; wenn man einkaufen geht, gibt es eben nur die 5 Sorten
Obst und Gemüse und wenn überhaupt nur den einen Käse (den gefühlt außer uns
sowieso niemand kauft), aber das ist gar nicht schlimm.
Trotzdem muss ich mir eingestehen, dass ich eine Weile gebraucht habe mich
daran zu gewöhnen. Ich bin einer dieser Menschen, die, Schande über mich, auch
im letzten Dezember noch Erdbeeren gekauft haben.
Würde ich mich selbst auf eine Diät setzen und mir Pizza, Schokolade oder was
weiß ich was verbieten, ich wette es fiele mir echt schwer mich daran zu
halten. Hier ist es überhaupt kein Problem, dass solche Sachen nicht, oder nur
kaum erhältlich sind und sie fehlen nicht mal so. Normalerweise heißt es doch
immer: Man will das, was man nicht haben kann.
Ich habe das Gefühl, ich will eher das,
was ich nicht haben sollte – wenn ich es nicht haben kann ist das hingegen echt
okay. (Abgesehen von Lasagne, die vermiss ich unendlich, davon kann Lisa und
jeder der mal mit mir geskypet hat ein Lied singen)
Eigentlich möchte ich mit diesem Post zum nachdenken anregen über das Thema,
das mir zurzeit ständig im Kopf rum spukt. Ich kann zufrieden sein mit Einfachem.
Warum bin ich damit nicht mehr zufrieden, sobald noch mehr verfügbar ist? Warum
fällt es oft so schwer einfach zufrieden und glücklich zu sein damit, dass man
überhaupt was hat?
Ich glaube ich habe das hier gelernt, das „Einfach zufrieden sein“.
Verlernt man das aber wieder, sobald man nächsten Winter in Deutschland vor den
Erdbeerschälchen im Supermarkt steht?
Aber es geht nicht alleine ums zufrieden sein, es geht auch darum die Sachen zu
schätzen. Viele unserer Schüler und Studenten gehören zur armen
Landbevölkerung. Trotzdem sehen sie jeden Tag ordentlicher aus als ich; ihre
Kleidung ist sauber und ordentlich. Sie passen auf jeden Kugelschreiber und jede
Haarklammer auf. Sie schätzen was sie haben, pflegen es und passen darauf auf.
Das muss ich unbedingt noch von ihnen lernen.
(Hannah)
ein indischer Laden |